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Gendersensible Sprache
Liebe Besucher dieser Flora rica-Seiten,
die Anrede macht es bereits deutlich: Als Verantwortlicher für diesen Internet-Auftritt verzichte ich bewusst auf den Einsatz gendersensibler Sprache. Denjenigen unter Ihnen, die diese Haltung nicht unterstützen oder die sich gar darüber ärgern, möchte ich meine Entscheidung wie folgt begründen:
Über das Für und Wider von gendersensibler Sprache wird im deutschsprachigen Raum seit Jahren in der Gesellschaft kontrovers diskutiert. Die meisten, die gendersensible Sprache verwenden, tun dies, um den Frauen in unserer Gesellschaft die ihnen gebührende Beachtung, Wertschätzung und Gleichberechtigung zukommen zu lassen, sie also „sichtbar“ zu machen und sie nicht nur unausgesprochen „mitzumeinen“, wenn von „Kunden“, „Besuchern“, „Käufern“ usw. in Form eines generischen Maskulinums die Rede ist. Diese Intension ist aller Ehren wert und soll hier in keiner Weise diskreditiert werden. Von den Befürwortern gendersensibler Sprache wird gerne behauptet, dass die Existenz des generischen Maskulinums (z.B. „Die Wähler haben entschieden“, „Wer hat seinen Schirm vergessen?“) im Deutschen die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse zementiere, wodurch den Frauen eine echte Gleichberechtigung den Männern gegenüber verwehrt bliebe oder diese dadurch erschwert würde. Als Beweis werden Assoziations-Studien (z.B.: 1) genannt, die gezeigt haben, dass Begriffen, die als generisches Maskulinum formuliert wurden, z. B. „Sänger“ (f.&m. pl.) mehr Männer als Frauen zugeordnet wurden, als dies bei Beidnennung der Geschlechter („Sportlerinnen und Sportler“) der Fall war. Diese Studien sind sicher fundiert, aber lassen sie den Schluss zu, sie seien (mit) ursächlich für Nicht-Gleichberechtigung?
Diese Ansicht teile ich nicht. Im Gegenteil, ich bin davon überzeugt, dass Sprache, da sie sowieso einem stetigen Wandel unterliegt, zwar die vorliegenden gesellschaftlichen Verhältnisse reflektiert, aber keinesfalls deren Ursache ist. Während v. a. romanische Sprachen wie z. B. Französisch und Portugiesisch aber auch die deutsche Sprache ein grammatikalisches Geschlecht kennen (Gruppe a), gelten u. a. Finnisch, Ungarisch und Türkisch als geschlechterneutrale Sprachen (Gruppe b). Die Ungleichberechtigung von Frauen gegenüber Männern sollte, wäre Sprache dafür maßgeblich verantwortlich, in letzteren Ländern (b) weniger ausgeprägt sein als in ersteren (a). Im globalen Index der Gleichberechtigung, den der Global Gender Gap Report von 2020 ermittelt hat, rangiert Deutschland (a) auf Platz 10, Frankreich (a) auf Platz 15 und Portugal (a) auf Platz 35, während Finnland (b) Platz 3, Ungarn (b) Platz 105 und die Türkei (b) Platz 130 von insgesamt 153 Ländern einnimmt. Eine Korrelation zwischen der Gleichberechtigung der Geschlechter und dem Auftreten einer geschlechterneutralen Sprache kann ICH nicht erkennen.
Unter Sprachwissenschaftlern gilt (mehrheitlich), dass das sprachliche Genus mit dem biologischen Geschlecht, dem Sexus, nichts zu tun hat: Die deutsche Übersetzung „Geschlecht“ für den lateinischen Begriff „Genus“ ist unglücklich, ebenso die Begriffe „männlich“, „weiblich“, „sächlich“. Dieses Missverständnis könnte Sprachaktivistinnen erst auf die Idee gebracht haben, Deutsch sei eine „Männersprache“2 und müsste in eine „Frauensprache“3 umgewandelt werden. Dass sprachliches „Genus“ und biologisches „Geschlecht“ nicht deckungsgleich sind, sieht man an „der Mensch“ und „die Person“. Allgemein akzeptiert, werden unter beiden Begriffen jeweils beide biologischen Geschlechter verstanden. Auch werden weder im ersteren Fall die „weiblichen Menschen“, noch im letzteren die „männlichen Personen“ diskriminiert. Ich hoffe, dass wenigstens darüber Konsens in unserer Gesellschaft herrscht. In den hier genannten und vielen anderen Fällen geht aus diesem Grund das Gendern auch nicht („Menschinnen“, „Personinnen“, „Deutschinnen“), obwohl es immer wieder versucht wird („Mitglieder*innen“4, „Gäst*in“4, „Planet*in“5). Gender-Ausrutscher wie „Steuerinnenzahler“6, „weibliche Freundinnen“7 und „Verteidigungsminister[Sprechpause]innentreffen“8 will ich hier gar nicht auf die Goldwaage legen.
Übrigens: Das Personalpronomen in der dritten Person Plural lautet im Deutschen: „sie“. „Die Bürger waren zur Wahl aufgerufen und so haben sie gewählt: …“ Ich, männlich, werde mich großzügigerweise mal nicht diskriminiert fühlen, dafür aber dankenswerterweise „mitgemeint“ (Achtung: Ironie).
Einen Aspekt möchte ich in diesem Zusammenhang hier nennen, der aus meiner Sicht in öffentlichen Diskursen meist zu kurz kommt: Ein Kernproblem der Gender-Thematik ist die unklare Bedeutung der männlichen bzw. der gemischtgeschlechtlichen Pluralform. Unter „Besucher“(pl.) beispielsweise verstanden früher und verstehen auch heute noch die meisten Menschen sowohl die männlichen als auch die weiblichen Mitglieder einer Besuchergruppe. Durch die Verwendung des Ausdrucks „Besucherinnen und Besucher“ bekommt die Pluralform „Besucher“ eine neue, andere Bedeutung als sie sie in Vor-Gender-Zeiten hatte. Während „Besucher“(pl.) früher beide, oder besser gesagt, alle Geschlechter einschloss, sind es heute bei konsequenter Anwendung gendersensibler Sprache nur deren männliche Vertreter.
In der bisher gebräuchlichen Form wird die gemischtgeschlechtliche Pluralform von den Gender-Befürwortern auch nicht gewollt, weil hier, so wird behauptet, das biologisch weibliche Geschlecht diskriminiert, da nur „mitgemeint“ wird. Eher würden Gender-Befürworterinnen das generische Femininum verwenden („Besucherinnen“), bei dem dann allerdings das biologisch männliche Geschlecht „mitgemeint“ und ebenso diskriminiert würde. Die Universität Leipzig hat dies für ihre Verwaltung exakt so beschlossen: Alle Professoren, unabhängig von ihrem biologischen Geschlecht, sind jetzt „Professorinnen“. Das ist für Gender-Befürworter offenbar nicht weiter schlimm und aus historischer Sicht möglicherweise sogar gerecht.
Ob man nun das generische Femininum oder das generische Maskulinum bevorzugt, das Problem ist grundsätzlicher Art: Genderkonformen Regeln entsprechend muss bei einer gemischtgeschlechtlichen Gruppe jedes Geschlecht (zumindest das weibliche und das männliche) genannt werden. Wer aber die Einzel-Nennung der Geschlechter fordert, muss die Sammel-Nennung zwangsläufig ablehnen. Beides kann man nicht haben. Die konsequente Nicht-Nennung gemischtgeschlechtlicher Pluralformen hat zur Folge, dass eben diese Pluralformen (in der Funktion eines Sammelbegriffs) aus der deutschen Sprache verdrängt werden.
Diesen Niedergang hat die gemischtgeschlechtliche Pluralform, die so ungemein praktisch und ökonomisch ist, nicht verdient, und er bedeutet eindeutig einen Verlust an sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten. Da ich Natur- aber kein Sprachwissenschaftler bin, kann ich nur vermuten, dass es in allen Sprachen einen Sammelbegriff für eine Gruppe aus männlichen und weiblichen „Besuchern“ o. ä. gibt. Man kann es förmlich mit Händen greifen, dass eine Sprache, der die Ausdrucksmöglichkeit der gemischtgeschlechtlichen Pluralform fehlt, diese über kurz oder lang einführen würde. Deutsch dagegen wäre die erste Sprache, die eine solche gemischtgeschlechtliche Pluralform abschafft. Ist den Anwendern gendersensibler Sprache dieser Zusammenhang eigentlich klar?
Nun kann man einwenden, dass die gemischtgeschlechtlichen Pluralformen genau genommen gar nicht abgeschafft, sondern nur durch andere ersetzt werden. Das ist in der Tat der Fall. Diese neuen Pluralformen sind aber völlig unnatürliche, teilweise absurde Konstrukte, wie z. B. BesucherInnen, …*innen, …_innen, …/innen, …:innen, …[Sprechpause]innen, …@ („m@n“), …x („Professx“), …a („Bäcka“), sowie substantivierte Partizipialformen z. B. „Rad Fahrende“ oder „Hunde Haltende“ (ein Hunde Haltender ist nicht unbedingt ein Hundehalter). Mit Sprachästhetik hat dies nach meiner Ansicht nichts mehr zu tun. „Schreibbar“ mögen diese „kreativen“ Formen ja noch sein, aber sind sie auch noch „sprechbar“? Sprache ist in erster Linie das gesprochene Wort und erst in zweiter Linie Schriftsprache. Als hörbar wahrzunehmende Pluralformen bleiben von den „kreativen“ Konstrukten, abgesehen von den nicht ernst zu nehmenden @-, x- und a-Gebilden, nur …[Sprechpause]innen und die Partizipialformen übrig („Bettnässende“), außer man spricht z. B. den Gender*stern aus, wie etwa Herr Kleber im ZDF.
Dieses Defizits scheinen sich die „Sprachgenderer“ auch bewusst zu sein, daher versuchen sie sich um das Problem herumzumogeln, indem sie z. B. die weiblichen und die männlichen Pluralformen abwechselnd nennen: „Künstlerinnen (f. pl.), Musiker (m. pl.) und Komponistinnen (f. pl.) …“ (Originalton Deutschlandfunk). Praktischerweise könnte man diese Ausdrücke auch schön zusammenfassen: „Künstler-, Musiker- und Komponist[Sprechpause]innen“. Aber, da die beiden ersten Ausdrücke mit dem generischen Maskulinum verwechselt werden könnten (die sie hier aber nicht sind), geht das natürlich nicht.
Aber nicht nur als Hörer, sondern auch als Leser wird man fast in jedem zweiten Satz darauf aufmerksam gemacht, dass sich unter den „Besuchern“, „Lehrern“, „Erziehern“ etc. nicht nur Männer, sondern auch Frauen befinden. Dass das auf den Empfänger dieser Botschaften auf die Dauer eintönig und ermüdend wirkt, scheint den „Gendernden“ auch klar zu sein. Um die Schwächen des eigenen Konzepts zu verbergen, sucht man sein Heil in der Inkonsequenz und lässt gelegentlich, aber wohldosiert auch mal ein generisches Maskulinum durchgehen. Schließlich ist man ja auch mit wenigen Gender-Ausdrücken, gerne am Anfang der Geschichte, seinen politischen Standpunkt (s. u.) losgeworden. Aber das hat natürlich seinen Preis: Da nicht eindeutig geklärt ist, ob oben genannte Musiker als generisches Maskulinum gemeint, also beiderlei Geschlechts sind, oder eben nicht, entstehen Missverständnisse. Nein, es ist augenfällig: Hier wird an der Sprache herumgebastelt, doch die Resultate passen nicht zusammen. Sie werden notdürftig gekittet, wobei nur wieder neue Flickstellen entstehen. Was bleibt, ist Flickschusterei, die den Kern des Problems ignoriert: Man hat sich verrannt, will oder kann es sich aber (noch) nicht eingestehen.
Es lassen sich sogar noch weitergehende, geradezu abenteuerliche „Lösungsvorschläge“ finden2: Während wie in Vor-Gender-Zeiten der weibliche Singular durch die Endung „in“ (Besucherin) gekennzeichnet bleibt, erhält der männliche Singular die Endung „ich“ (Besucherich). Sind beide Geschlechter gemeint, wird das Neutrum verwendet: „Das“ Besucher. Für die Pluralbildung ergäbe sich folglich als Sammel-Begriff für beide/alle Geschlechter (wie gehabt): „Besucher“, für weibliche Besucher: „Besucherinnen“ und für ausschließlich männliche Besucher: „Besucheriche“. Was für ein grandioser Vorschlag! Mir fallen dabei „Politikeriche“, „Ärztiche (Ärzteriche?)“, „Pflegeriche“, „Lehreriche“, „Schüleriche“, „Professoriche“, „Student(er?)iche“, „Kund(er?)iche“, „Bürgeriche“, „Tourist(er?)iche“, „Radfahreriche“ oder „Fußgängeriche“ ein. Ohne diesem kreativen Geist zu nahe treten zu wollen, aus der Verwendung dieser, nicht nur zu „Heinrich“ und „Friedrich“, sondern auch zu „Gänserich“ und „Wüterich“ analogen Begriffe kann eine tiefe Abneigung gegenüber allem Männlichen oder gar dessen Verachtung nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Sprache ist ein Kulturgut, das man achtsam und pfleglich behandeln sollte. Sie hat sich in langen Zeiträumen entwickelt, immer im grundsätzlichen Konsens zwischen dem Gesagten und dem Verstandenen. Vor allem hat sie es nicht verdient, durch kurzzeitiges Aufflackern des Zeitgeistes nachhaltig beschädigt zu werden.
Vom Zeitgeist diktiert, werden Millionen von Steuergeldern ausgegeben, um öffentliche Verwaltungen, Regierungsstellen, universitäre Einrichtungen etc. auf die Verwendung genderkonformer Begriffe umzustellen, nur damit beispielsweise Studenten jetzt „Studierende“, Fußgänger jetzt „zu Fuß Gehende“ und Fußgängerzonen jetzt „Flaniermeilen“ genannt werden müssen. Die meisten der öffentlich zugänglichen Texte oder Beiträge sind „durchgegendert“, auf dass sich niemand benachteiligt fühlen möge. Das könnte sonst juristischen Ärger hervorrufen. Die Entschlossenheit, mit der hier selbsternannte Heilsbringerinnen ans Werk gehen, trägt geradezu ideologische Züge und kann fast nur durch einen an Besessenheit grenzenden missionarischen Eifer erklärt werden. Immer mehr Gender-Lehrstühle werden etabliert. Kaum eine deutsche Hochschule kann es sich heute leisten, keine Genderforschung zu betreiben, die dann immer mehr Gründe für weibliche Ungleichberechtigungen und Unterdrückungen finden wird, damit wieder neue Genderforschungsprojekte initiiert und Genderstellen geschaffen werden und so weiter. Sie produziert so selbst das Futter, von dem sie lebt, eine äußerst nachhaltige Schaffung von Arbeitsplätzen. Ob diese Forschung tatsächlich ergebnisoffen ist, wie es Wissenschaft sein sollte, darf bezweifelt werden.
Sprache unterliegt dem Wandel und das wird immer so bleiben, aber nur in totalitären Systemen werden Sprechweisen verordnet. Leider sind in sehr vielen von mehrheitlich nicht Gender-sprechenden Steuerzahlern finanzierten Einrichtungen derartige Verordnungen längst Realität. Anträge auf Fördermittel beispielsweise, die den Gender-Vorgaben nicht entsprechen, werden gar nicht erst bearbeitet oder der „Gender-Geldtopf“ bleibt geschlossen. Studentische Abschlussarbeiten bekommen bei Nichtbeachtung von Gender-Vorgaben Punktabzüge. Einem deutschen Universitätsprofessor werden bei Wiederholung seiner Gender-kritischen Aussagen vom zuständigen Wissenschaftsminister disziplinarische und strafrechtliche Konsequenzen angedroht. Mich erinnert das an das Gebaren mittelalterlicher Landesfürsten, die ihren Untertanen eine bestimmte Religion verordnet haben. Die Aussage des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Prof. Dr. Paul Kirchhof kann ich nur unterstreichen: „Deshalb gehört zu den elementaren Freiheitsgewährleistungen das Recht, frei, unbeschwert, ohne Begriffszwang und Sprachvorschriften zu sprechen. Dieses Freisein ist aber gefährdet, wenn im Sprechen über Mann und Frau Sprachvorschriften die Sprechfreiheit beschränken sollen.“9
Doch es droht Ungemach, vertritt man gegenüber dem „Sprachgendern“ eine ablehnende Meinung: Schnell ist man in der frauenfeindlichen oder rechten Ecke nach dem Schwarz-Weiß-Schema: Wer gendert, will Frauen zu ihrem Recht verhelfen, ist fortschrittlich und liberal, steht moralisch auf der richtigen Seite und gehört zu den Guten. Wer es aber nicht tut, der offenbart sich als Frauenfeind, ist rückständig und intolerant, politisch rechts außen stehend und gehört zu den Bösen.
Mit dieser Stigmatisierung will man die Etablierung der Gender-Sprache unumkehrbar machen. In der Gesellschaft scheint dieses Denkmuster schon weit verbreitet zu sein, das wissen auch die Politiker. Wer nicht gendert, läuft Gefahr, Wählerstimmen zu verlieren. Gendern polarisiert. Man will den Gedanken gar nicht zulassen, dass man „Sprachgendern“ ablehnen und sich dennoch für Gleichberechtigung einsetzen kann. Intoleranz und Voreingenommenheit auf dem Gender-Feld sind gesellschaftsfähig geworden. Nur wenige zeigen Rückgrat, dem gesellschaftlichen Anpassungsdruck zu widerstehen.
Nun ist auch noch die Duden-Redaktion vor dem Zeitgeist eingeknickt und auf den Gender-Zug aufgesprungen: In ihrer Online-Ausgabe ist sie dazu übergegangen, das generische Maskulinum faktisch abzuschaffen. Die Berliner Zeitung schreibt: „Hinter Arzt, Substantiv, maskulinum, heißt es nun: ‚Männliche Person, die nach Medizinstudium und klinischer Ausbildung die staatliche Zulassung erhalten hat, Kranke zu behandeln.‘ Das Wort ‚männlich‘ fehlte bisher. Ärztinnen sind also nicht mehr mit gemeint, wenn von Ärzten die Rede ist. Nur vor Änderungen in den Komposita schreckt man noch zurück: ‚Chefarztbehandlung‘ wird es erst einmal weiter geben.“10 Ich kann jeden verstehen, der dem Duden als DER seit Jahrzehnten maßgeblichen Referenz für deutsche Sprachnormen nicht mehr zu folgen bereit ist. Fast schon erheiternd, dass der Duden inzwischen Idiotinnen als eigenes Stichwort führt! Gut, dass es noch das
Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache, herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, den
Online-Wortschatz „Owid“ des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache oder das Wörterbuch
Wahrig gibt.
Und wie verhält es sich mit Formulierungen in Gesetzestexten? Im Strafgesetzbuch beispielsweise wird in § 211 StGB zwar von Mördern im Sinne des generischen Maskulinums gesprochen, Mörderinnen tauchen dort aber nicht auf. Gehen diese dann gegebenenfalls straffrei aus, da nach genderkonformer Schreibweise Mörder schließlich nur Männer sind? Müssen jetzt alle Gesetze genderkonform umgeschrieben werden?
Ein weiteres Beispiel: „Angela Merkel gilt als eine der führenden a) Politiker, b) Politikerinnen, c) Politiker*innen unter den a) Staatenlenkern, b) Staatenlenkerinnen, c) Staatenlenker*innen der neueren Geschichte“. Was wird ihr wohl mehr gerecht: Dass sie eine der führenden Politiker unter (allen) Staatenlenkern ist (Ausdruck a) oder (nur) eine der führenden Politikerinnen bzw. Politiker*innen (klingt auch wie „Politikerinnen“) unter den (wenigen) Staatenlenkerinnen bzw. Staatenlenker*innen ist (Ausdruck b bzw. c)? An den genannten Beispielen zeigt das generische Maskulinum seine integrative Funktion. Wie lange wird es wohl noch dauern, bis man den Holzweg erkennt, auf dem man sich befindet?
Was aber sollte stattdessen getan werden? Um das berechtigte Interesse von Frauen in der Gesellschaft zu fördern, bedarf es nicht nur entsprechender rechtlicher Vorgaben, sondern vor allem der gesellschaftlichen Diskussionen über Geschlechterrollen und einer dafür offenen inneren Haltung von Entscheidungsträgern. Diese Diskussionen finden ja auch statt und damit der gesellschaftliche Wandel, auch wenn dies vielen zu langsam zu gehen mag. Will man die Aufstiegschancen für Frauen verbessern, muss man die Bedingungen dafür ändern, will man für gleiche Arbeit den gleichen Lohn haben, gibt es gesetzgeberische Möglichkeiten. Der Ansatz, dafür die Sprache als Vehikel zu benutzen, ist definitiv nicht die Lösung. Gleichberechtigung hat nichts zu tun mit sprachlicher Gleichverteilung. Die Architektur unserer Sprache, um die uns viele beneiden, wird überlastet und bekommt Risse. Vieles passt nicht mehr zusammen („Frauen sind die besseren AutofahrerInnen“). Mit ideologisch motiviertem Übereifer werden gewachsene Strukturen einer einzigartigen und von vielen bewunderten Sprache bis zur Verstümmelung verändert. Nur weil fast alle unreflektiert der Idee verfallen sind, die bloße Nicht-Nennung eines Geschlechts sei mit einer Diskriminierung desselben gleichzusetzen, opfern wir unsere Sprache diesem Mantra. Als Ergebnis wird eine verunstaltete Sprache bleiben, die eine Gleichberechtigung nur vorgaukelt. Ich plädiere daher dafür, bei den notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen an den richtigen Schrauben zu drehen, aber ansonsten der Evolution der deutschen Sprache einfach ihren Lauf zu lassen.
Aus diesen Gründen sind vorliegende Internetseiten so verfasst wie sie verfasst sind. Das wird sicher nicht jedem gefallen, ich hoffe aber, dass aus dem oben Gesagten hervorgeht, dass mit den auf diesen Seiten verwendeten Formen niemand diskriminiert werden soll.
Dass man zur Gender-Thematik auch völlig gegensätzlicher Meinung sein kann, erlebe ich täglich u. a. in Beiträgen öffentlich rechtlicher Rundfunksendungen, bei denen mir manchmal Hören und Sehen vergeht („Wir Journalistinnen …“ (oder JournalistInnen?), Zitat eines männlichen Vertreters seiner Zunft im Deutschlandfunk).
Im Sender 3sat wurde ein Interview, bei dem die Interviewpartnerin ausschließlich das generische Maskulinum verwendete („Leser“, „Follower“ und „Designer“) und das auf Instagram veröffentlicht wurde, insofern verfälscht, als dass in den Untertiteln gegenderte Formen („Leserinnen“, „Followerinnen“ und „Designer*innen“) eingeblendet wurden. Der gesprochene, nicht-gegenderte Originaltext wurde in einen gegenderten Text umgeschrieben, entsprechend der Haltung: Wir wissen, wie es „richtig“ heißen muss. Sind das nun „alternative Fakten“ oder ist das Zensur oder „wohlmeinende“ Bevormundung oder einfach nur intellektuelle Überheblichkeit? Unter journalistischer Verpflichtung zur Wahrheit verstehe ich etwas anderes. Ähnlich verhält es sich mit Übersetzungen ins Deutsche, bei denen die weibliche Pluralform „dazuübersetzt“ wird. Wer den Originaltext nicht kennt oder nicht versteht, glaubt, die ganze Welt würde gendern.
Oder wenn Herr Panajotis Gavrilis (Deutschlandfunk) von soundsovielen „Infektionsfällen pro 7 Tage und 100 000 Einwohnerinnen und Einwohnern“ spricht, frage ich mich: Ist das jetzt eine neue und wichtige Erkenntnis, dass auch die Einwohnerinnen in die Berechnung eingehen, oder ist das einfach nur albern? Immerhin gendert Herr Gavrilis konsequent. Würden alle Mit-Genderer diese Konsequenz zeigen, würde man die Ungereimtheiten und die fehlende Praxistauglichkeit des ganzen Unterfangens schnell erkennen. Aber da ja bekanntlich nicht sein kann, was nicht sein darf …
Während manche Volksgruppen so gut wie nie gegendert werden („Palästinenser“), ist das bei anderen schon fast legendär („Uigurinnen und Uiguren“4). Negativ besetzte Begriffe (z. B. „Lügner“, „Querdenker“, „Klimaleugner“) werden im Übrigen weitaus seltener gegendert als positiv besetzte („Heldinnen und Helden“, „Erzieherinnen und Erzieher“, „Ärztinnen und Ärzte“). Herrscht hier die Ansicht vor, die Wurzel allen Übels liege im Männlichen per se, oder sollen die Lügnerinnen, Querdenkerinnen und Klimaleugnerinnen doch nicht „mitgemeint“ sein und besser „unsichtbar“ bleiben?
So häufig man „Gender-Deutsch“ vor allem in öffentlich rechtlichen Sendeanstalten hört oder liest, so selten hört man es im alltäglichen Leben. Das ist auffällig, wird von den genannten Anstalten aber gerne ausgeblendet. Ich möchte nicht missverstanden werden. Ich bin froh, in einem Land zu leben, in dem es öffentlich rechtliche Sender gibt, aber mir drängt sich der Eindruck auf, dass hier der Bildungsauftrag mit einem Erziehungsauftrag verwechselt wird gegenüber denen, die zwar nie dazu befragt wurden, aber trotzdem dafür zur Kasse gebeten werden. Oder befinden sich die Macher dieser Sendungen in einer intellektuellen Blase, in der sie sich täglich gegenseitig ihre eigene Weltsicht bestätigen? Gibt es auch hier einen starken Anpassungsdruck? Schließlich will man ja auf der moralisch richtigen Seite stehen.
Wie gesagt, Sprache ist ein Kulturgut, mit dem respektvoll und pfleglich umgegangen werden sollte. Dennoch: Jeder soll nach seiner Fasson selig werden. Wer gerne aus Überzeugung gendert, dem sei es gegönnt, wer es aufgrund äußerer Zwänge tut, den will ich nicht verurteilen, wer es aber nur tut, weil viele es tun oder weil er glaubt, sich anpassen zu müssen, der plappert nur nach und erhöht zusätzlich den Anpassungsdruck auf andere. Letzterem sei gesagt, dass er, ohne es zu wollen, dazu beiträgt, dass der „Gender-Neusprech“ unbewusst Eingang in unser Bewusstsein findet und auf diese Weise Teil des allgemeinen Sprachgebrauchs wird. So macht sich der Nachplapperer zum Erfüllungsgehilfen dieser Sprachideologie und ihrer Verbreitung. Selber denken hilft hier weiter.
Die Toleranz im Übrigen, die ich anderen Ansichten auf dem Gender-Feld entgegenbringe, beanspruche ich auch für die meinige.
Ernst Natt
1 Effekte des generischen Maskulinums und alternativer Sprachformen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen von Dagmar Stahlberg und Sabine Sczesny, 2 Luise F. Pusch, 3 Senta Trömel-Plötz, 4 Anne Will, 5 Katrin Göring-Eckhardt, 6 Annalena Baerbock, 7 Anton Hofreiter, 8 Siemtje Möller, verteidigungspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, 9 gefunden im Januar 2021 auf
Verein Deutsche Sprache e.V., 10 Susanne Lenz, gefunden in der
Berliner Zeitung vom 8.1.2021
Stand: Februar 2021