Grundlegende Informationen
Neue Hybride auf dem Feld der Zier- oder Nutzpflanzen zu züchten ist eine faszinierende Betätigung, die mancher Pflanzenfreund vielleicht schon einmal mit seinen Lieblingen versucht hat. "Bienchen" zu spielen und mit einem Pinsel Pollen von einer Pflanze auf die Narben einer anderen zu übertragen ist natürlich auch nicht schwer. Im Falle von Passionsblumen (Gattung Passiflora innerhalb der Familie Passifloraceen) gibt es jedoch dabei einige Dinge zu beachten, die in der folgenden kurzen Einführung in unsere Kreuzungsarbeiten dargestellt werden sollen. Dabei tauchen unvermeidlich einige Fachbegriffe auf, die Lesern ohne tiefergehende Kenntnisse der Prinzipien klassischer Genetik nichts oder wenig sagen werden. Eine kurze Erklärung dieser farblich hervorgergehobenen Begriffe, sofern sie für das Verständnis wichtig ist, wird im nachfolgenden Text beim Überfahren des Begriffes mit der Maus bzw. durch Anklicken mittels eines Textfensters angezeigt.
Wir haben uns bemüht, teilweise komplexe Mechanismen für den interessierten Laien verständlich, einfach und trotzdem richtig darzustellen. Ein sachkundiger Leser, dem sich dabei der Eindruck einer zu starken Vereinfachung aufdrängen könnte, möge uns diese Vorgehensweise verzeihen, denn schließlich geht es dabei nicht um eine wissenschaftliche Abhandlung sondern "nur" um eine Einführung in die Herstellung von Passionsblumen-Hybriden.
Hybride sind Nachkommen aus interspezifischen Kreuzungen, also Kreuzungen zwischen verschiedenen Spezies (Arten). Die bekanntesten Hybride sind vermutlich das Maultier und der Maulesel, beide entstanden aus der Kreuzung zwischen Pferd und Esel. Komplexe Hybride aus mehreren Rosa-Arten
stellen auch die unüberschaubar große Zahl heutiger Rosen-Sorten dar. Je näher die Arten der beiden Eltern miteinander verwandt sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß aus einer solchen Kreuzung ein lebensfähiger Hybrid entsteht.
Außer durch züchterische Planung entstehen Hybride gelegentlich auch ohne menschliches Zutun. Innerhalb der Tacsonien-Gruppe (einer Passiflora-Untergattung ist Passiflora x exoniensis durch die Kreuzung Passiflora antioquiensis x Passiflora tripartita var. mollissima entstanden (üblicherweise werden die Eltern nach dem Schema Mutter (Pollenempfänger) x Vater (Pollenspender) angegeben).
Ziele einer Kreuzung
Die in der Natur vorkommenden Arten sind für ihren jeweiligen Standort meist optimal angepaßt.
Liebhaber exotischer Pflanzen versuchen oft, die eine oder andere Pflanze auf der eigenen
Fensterbank oder im eigenen Garten zu halten, unter Standortbedingungen, die alles andere als für
die Pflanze optimal sind. Mit wenig, gelegentlich auch mit mehr Aufwand ist dies durchaus
möglich. Unter solchen Bedingungen werden natürlich ganz andere Erwartungen an diese Pflanzen gestellt. Im Fall von
Passionsblumen, deren Heimat hauptsächlich Mittel- und Südamerika ist (s. unten), sind
Eigenschaften wie eine vertretbare bis gute Winterhärte, große duftende Blüten in kräftigen
Farben, Blühwilligkeit (für ganz Hoffnungsvolle zudem noch unter Bildung schmackhafter Früchte),
Robustheit gegen Krankheiten und Schädlinge, geringe Pflegeansprüche nur ein paar Merkmale, die
eine Ideal-Passionsblume in sich vereinigen sollte. Damit sind die wichtigsten Kreuzungsziele
auch schon vorgegeben.
Läßt sich beispielsweise eine rotblühende, aber ansonsten eher empfindliche Pflanze mit einer
vergleichsweise winterharten Pflanze mit weißen, dabei aber unscheinbaren Blüten kreuzen, wäre
eine winterharte, rotblühende Passionsblume ein naheliegendes Kreuzungsziel.
Inwieweit in der Praxis die Nachkommenschaft einer solchen Kreuzung die Erwartungen des Züchters
oder die des Käufers erfüllt, steht auf einem anderen Blatt. Glücklicherweise werden
Enttäuschungen des Züchters über unerfüllte Erwartungen hin und wieder kompensiert durch die Freude
über positive Ergebnisse, die nicht erwartet wurden.
Biologische Voraussetzungen und Einschränkungen
Wie bereits
erwähnt,
umfaßt die Gattung der Passionsblumen
über 500 verschiedene Arten, die
aufgrund bestimmter Merkmale in verschiedene
Untergattungen (Subgenera) unterteilt werden. Die
zahlenmäßig größten innerhalb der Passifloraceen-Gattung sind die Untergattungen
Passiflora (236 Arten, Stand 2004) und Decaloba (214 Arten, Stand 2004). Vertreter der
Passiflora-Gruppe besitzen im allgemeinen große auffällige Blüten mit Weiß-, Blau- oder Rottönen,
Gelb tritt bei diesem Subgenus nicht auf. Decaloba-Blüten dagegen erscheinen oft in größerer
Zahl pro Pflanze, dafür sind sie i.d.R. wesentlich kleiner als Passiflora-Blüten, wodurch der
Laubcharakter dieser Gruppe stärker in den Vordergrund tritt. In der Decaloba-Gruppe kommt Gelb
als Blütenfarbe vor.
Die weitaus meisten bis heute existierenden Passionsblumen-Hybride sind innerhalb der
Passiflora-Gruppe entstanden, nur wenige finden sich in der Decaloba-Gruppe. Gründe dafür sind
nicht nur die attraktiveren Blüten sondern auch das wesentlich leichtere Hybridbildungs-Verhalten
in der Passiflora-Gruppe. Zwischen den beiden Untergattungen sind bisher keine Hybride bekannt
und vermutlich auch nicht möglich. Eine Mindestvoraussetzung einer aus klassischer Kreuzung
hervorgehenden Hybridisierung ist nämlich eine identische Chromosomenzahl des
haploiden
Chromosomensatzes beider Eltern. Bei den bisher untersuchten Vertreten der Untergattung
Passiflora besteht der haploide Satz (von einigen Ausnahmen abgesehen) aus 9 Chromosomen (n = 9),
in der Decaloba-Gruppe finden sich fast überall
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß bei wenigen Vertretern der Passiflora-Untergattung
künstlich der Chromosomensatz verdoppelt wurde. Diese sogenannten Tetraploide besitzen also den
4-fachen haploiden Chromosomensatz (4n). Hybridbildung zwischen tetraploiden und diploiden
Pflanzen ist bei gleichem haploiden Chromosomensatz möglich, die daraus entstehenden triploiden (3n)
Nachkommen sind steril.
Eine weitere Voraussetzung für das Gelingen einer geplanten Kreuzung ist die Verfügbarkeit
von frischem Pollen (der Vaterpflanze) um die Narben der Mutterpflanzenblüte zu bestäuben. Meist
verliert Passifloraceen-Pollen nach wenigen Tagen seine Fähigkeit, die Samenanlagen der
Mutterpflanze zu befruchten.
Des weiteren sind einige Passionsblumen-Arten ausgesprochene Kurztagspflanzen,
die Blütenbildung erfolgt bei diesen nur unter Bedingungen einer kurzen Tageszeit, d. h. von Herbst bis
Frühjahr, sofern die Temperaturen es zulassen. Die meisten anderen sind tagneutral und blühen im Sommer.
Gemeinsam ist beiden die Tatsache, daß es sich (bis auf seltene Ausnahmen) um Eintagesblüher
handelt, ihre Blüte bleibt also nur einen Tag (bei Nachtblütigen eine Nacht) geöffnet. Das
Zeitfenster für eine erfolgreiche Bestäubung ist also sehr klein. Pollenkonservierung ist möglich,
aber selten unter Erhaltung der notwendigen Pollenqualität.
Die meisten Passionsblumen sind selbststeril, d.h. eine erfolgreiche Befruchtung ist nur mit
Pollen genetisch verschiedener Pflanzen der gleichen Art (ggf. auch einer anderen Art) möglich.
Einige wenige sind selbstfertil, der eigene Pollen führt also zur Fruchtbildung. Die
schmackhafte Maracuja-Früchte liefernde
Passiflora edulis forma
edulis gehört zur letzteren
Gruppe. Verantwortlich für Selbststerilität sind sogenannte
Inkompatibilitäts-Faktoren. Sie
verhindern zwar die Fruchtbildung durch Selbstbestäubung, sorgen aber, wegen der Notwendigkeit eines genetisch unterschiedlichen Bestäubungspartners, für eine hohe Rate von
"Durchmischung" des Erbguts
(Heterozygotie) innerhalb der betreffenden Arten.
Selbstfertile sind
dagegen in vielen Teilen ihres Erbguts
homozygot (identische Genkopien in beiden
haploiden
Chromosomensätzen).
Fremdbestäubung ist bei Passifloraceen also die Regel und zwar nicht nur innerhalb der eigenen
Art, sondern auch über die Artgrenze hinaus. Dennoch läßt sich nicht jede Art mit jeder
hybridisieren, selbst wenn die chromosomalen Voraussetzungen erfüllt sind. Sehr häufig führt
Kreuzung
Kreuzungen in der Praxis
Nachdem sich die Staubgefäße der späteren Vaterpflanze geöffnet haben, wird der Pollen auf
die Narben einer geöffneten Blüte der Empfängerpflanze aufgebracht. Sollte sich unter
Freilandbedingungen die Empfänger-Blüte sehr früh öffnen, sollte der Züchter entsprechend früh
mit seiner Arbeit beginnen, andernfalls haben Bienen und Hummeln seinen Job bereits getan – mit
ungewissem Ausgang. Aus diesem Grund sollte die bestäubte Blüte anschließend auch vor weiteren
Insektenbestäubungen geschützt werden. Wichtig ist auch das Vermerken der Vaterschaft mittels
einer kleinen Schildchens. Sollte sich ein Fruchtansatz bilden und dieser nicht durch Wetter,
Schneckenfraß, biologisch bedingten Entwicklungsabbruch oder ähnliches vorzeitig abfallen, sind
die Früchte nach wenigen Monaten reif. Oft ist die Fruchtreife an einer veränderten Farbe oder
an einem fruchtigen Duft erkennbar. Reife Samen sind meistens schwarz oder braun, ihre Anzahl
pro Frucht reicht von unter fünf bis über fünfzig, in Abhängigkeit der Kreuzungspartner und der
Umstände der Bestäubung. Die Samen sollten gesäubert und bis zur Aussaat kühl gelagert werden.
Die Keimfähigkeit der Samen ist u. a. vom Reifegrad, von Art und Dauer der Lagerung, vom
Vorhandensein natürlicher keimungshemmender Substanzen und möglicherweise auch von dem
Zusammenspiel der neu kombinierten
Genome abhängig.
Die Aussaat kann direkt nach der Fruchtreife erfolgen, es empfiehlt sich jedoch, bis zum Frühjahr damit zu warten, da der junge Keimling sonst unter Wärme- und Lichtmangel leidet. In feuchtem, aber nicht nassem Substrat bei Temperaturen um 25 °C (oder leicht darüber) können die ersten Keimlinge bereits nach wenigen Tagen erscheinen, meist dauert es einige Wochen bis Monate, in einzelnen Fällen auch wesentlich länger. Die Keimrate reicht von 0 bis 100%, im Regelfall um 20%. Junge Keimlinge benötigen viel Licht und Wärme. Wegen erhöhter Anfälligkeit gegen Pilzbefall erfordert die weitere Aufzucht meist tägliche Kontrolle. Größere Keimlinge sollten vorsichtig an Freilandbedingungen gewöhnt werden, direkte Sonne führt bei unter Glas aufgezogenen Pflanzen unvermeidlich zu irreversiblen Blattschäden, eine mehrere Tage dauernde "Schattenphase" im Freiland beugt dem vor. Nun hegt und pflegt der Züchter seine Schützlinge fast wie seinen Augapfel und wartet ungeduldig auf die erste Blüte. Leider müssen die meisten Pflanzen dazu eine Größe haben, die im ersten Jahr noch nicht erreicht wird. Ohne das Resultat der Kreuzung zu kennen, müssen also alle Neuzüchtungen, oder wenigsten die vielversprechendsten, mit entsprechendem Aufwand über den kommenden Winter gebracht werden, selten frei von Verlusten. Sollten die Neuzüchtungen jedoch bereits im ersten Jahr zur Blüte kommen, deutet dies auf eine hohe Blühwilligkeit, bei Zierpflanzen im allgemeinen und Passionsblumen im besonderen eine immer willkommene Eigenschaft.
Pflanzenzüchtung kann also aufregend und spannend sein, oft verbunden mit Enttäuschungen und natürlich auch mit freudigen Erlebnissen. Ob der Aufwand das zu erwartende Ergebnis lohnt, möge jeder potentielle Züchter für sich selbst entscheiden. Flora rica betreibt diesen Aufwand gern und hofft, auch in Zukunft seine Kunden mit interessanten Neuzüchtungen überraschen zu können.